Auf dieser Seite werde ich die veröffentlichten Teile meiner Geschichte "Die Masken die wir tragen ..." zusammenfügen.
Ich hoffe damit, das Nachlesen für Leser der ersten Stunde und den Neueinstieg in die Geschichte für neue Leser zu vereinfachen.
Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und würde mich über Kommentare freuen.
--------------------------------------- PROLOG -------------------------------------
Regen prasselt an die schon vor langer Zeit ergrauten Fenster, der Geruch von Staub und Moder liegt schwer in der Luft. Die Kerze in meine Hand flackert stetig in dem Luftzug, der in diesem Haus allgegenwärtig zu sein scheint, und taucht den großen Raum in ein schummriges Licht. Das Gefühl von unzähligen Augen beobachtet zu werden jagt mir einen Schauer des Unbehagens über den Rücken und doch weiß ich, dass es nur die Schatten sind, die sich hier noch bewegen.
Das Haus ist schon lange tot.
Es starb mit seinen Bewohnern, einer kleinen Familie, zugezogen aus einem anderen Teil des Landes und doch nie hier angekommen. Sie zogen in dieses Haus, um Ihrem Leben eine neue Richtung zu geben, neue Jobs in einer neuen Stadt, ein neues Leben in einem abseitsgelegenen Haus am Ortsrand, nicht weit entfernt vom der freien Natur und der Stille des Waldes.
Seitdem das Drama um ihren Tod überall zu lesen war, wollte niemand mehr in das alte Haus einziehen. Keine Familie wollte ihre Kinder in dem großen Garten spielen lassen und das alte Wohnzimmer mit Lachen erfüllen. Daher bleibt nur die Erinnerung an das Leben der Verstorbenen in diesen Wänden, an die Schlagzeilen der Medien und der Staub der sich über alles legt, sobald das Interesse der Schaulustigen erstirbt.
Ich erinnere mich an die Familie. An ihr Lachen, als ich sie zum ersten Mal besuchte, an das Weinen, als ich meine Absicht offenbarte und an die Schreie, als ich ihnen die Masken vom Gesicht nahm.
Ich erinnere mich an sie, denn sie lehrten mich die Anwort auf eine Frage, die sich mir schon seit langem stellt:
Wir sind nicht die Maske die wir tragen, aber wenn wir sie aufsetzen, werden wir ihr dann nicht gleich?
Sie lehrten mich, wie falsch die Masken sind die wir alle tragen.
Ich erinnere mich an sie, denn sie waren die ersten, die mir ihr wahres Gesicht hinter der Maske zeigten, als ich sie ihnen nahm.
Doch die Erinnerung verblasst auch bei mir, den auch ich war schon einige Jahre lang nicht mehr dort. War zu sehr damit beschäftigt der Welt zu zeigen, was sich hinter den Masken verbirgt, die wir tragen. War zu sehr damit beschäftigt, meine Mission weiterzuführen, allem Widerstand zum Trotz.
Doch scheint der Widerstand zu gewinnen, denn noch ist die Welt nicht erwacht und doch kann ich meine Aufgabe nicht beenden. Ich habe versagt und ihnen die Gelegenheit gegeben mich einzusperren, über mich zu urteilen und mich zu verdammen. Jetzt sitze ich hier und sie versuchen mir meine Maske zu nehmen, hinter diese zublicken und mich zu verstehen.
Ich sitze in einem schnörkellosem Raum, in einem Gefängnis und mir gegenüber ein Psychiater. Auch er trägt eine Maske. Die sanfte Stimme, die ruhigen und meist netten Worte, das Lächeln. Ich soll erzählen was ich getan habe, warum ich es getan habe und was ich dabei fühlte. Doch gleichzeitig weiß ich, dass er Angst davor hat es zu hören, es zu verstehen.
Ich werde ihm diese Maske nehmen.
Doch nicht jetzt.
Später.
Wenn die Zeit gekommen ist und er verstanden hat, was sich hinter meine Maske verbirgt.
----------------------- Kapitel 1 - Wie alles begann ... ---------------------------
Wie beginnt eine Geschichte?
Mit Tod, mit Hass und mit all den dunklen Gefühlen, die die menschlichen Emotionen bereithalten?
Nein.
Die meisten Geschichten beginnen mit einer heilen Welt, Liebe und Frieden. Sie beginnen mit der Beschreibung eines Idealzustandes, wie der Mensch in sich wünscht oder erträumt, um diesen dann im Verlauf der Geschichte effektvoll zu zerstören.
Warum sollte es bei mir dann anders sein?
Auch meine Geschichte könnte auf diese Weise beginnen. Ich könnte mit der Zeit anfangen, als ich noch der Illusionen erlegen bin, dass die Welt schön und die Menschheit gut ist.
Aber das wäre zu einfach.
Zu offensichtlich.
Und so leicht möchte ich es meinem Gegenüber dann doch nicht machen. Erst möchte ich ihn testen.
Testen, wie sehr er mit der Wirklichkeit seiner Maske der Freundlichkeit und des professionellen Interesse verbunden ist.
Wie weit er bereit ist zu gehen, um mir meine Maske zunehmen.
Um herauszufinden, warum ich zu dem geworden bin, was ich heute bin.
Das Wesen, das sie eingesperrt haben, um die Menschen dieses Landes zu schützen. Damit diese sich weiter verstecken, weiter in ihrer ach so heilen Welt leben und die hässlich Wirklichkeit ignorieren können.
Damit ich Sie nicht zwingen kann, hinter ihre Masken schauen und zu sehen wie die Menschen in ihrer Umgebung sind.
Er sitzt mir immer noch gegenüber, zurückgelehnt, die Beine entspannt überschlagen, darauf wartend, das ich seine Frage beantworte.
Ich tue ihm den Gefallen und erinnere mich zurück.
Nicht an den heilen Anfang, sondern an den Moment als ich zum ersten Mal das Blut eines Menschen an meinen Händen herunterlief, meine Kleidung neu einfärbte und ich diesen ganz bestimmten Geruch wahrnahm, der dem Tod so unverwechselbar eigen ist. Es ist an der Zeit sich wieder in diese Zeit zurück zu versetzten und mich zu erinnern.
Ruhe.
Keine Schreie mehr.
Ein Tropfen löst sich von der Messerspitze. Lautlos wird er von der Schwerkraft angezogen. Der Aufprall in der Lache am Boden klingt unnatürlich laut. Wie ein Donnergrollen zerreißt er den Moment, die vollkommene Stille.
Schien die Zeit eben noch stillzustehen, beginnt sie nun wieder zu ihrer vollen Geschwindigkeit zu beschleunigen. Ich senke meinen Blick.
Blut.
Mein Blick folgt dem nächsten Tropfen, auf seine Weg dem Boden entgegen. Das Bild der Lache brennt sich in mein Gedächtnis ein.
Rot.
Frisch.
Braune lange Haare.
Ein mir seit Jahren vertrautes Gesicht.
Das Gesicht ist im Tode entspannt und doch spiegelt es so viele Gefühle wieder. Den Schmerz, den mein Messer verursachte, als es immer wieder in die Eingeweide schnitt. Entsetzens, als die Unvermeidbarkeit des nahenden Todes das Bewusstsein erreichte. Die Ungläubigkeit darüber, dass ich so reagieren konnte.
Fast verdeckten diese das Gefühl der Verachtung, dass das Gesicht zeigte, als sie mir die Wahrheit entgegen schleuderte. Die Selbstzufriedenheit, als sie mir sagte, wie leicht ich mich habe täuschen lassen. Den Hohn, als sie die Maske fallen ließ und mir meine heile Welt nahm.
Den Augenblick, als mein lange verschütteter Hass hervorkam und die Kontrolle übernahm.
Kontrolle.
Eine Illusion, die wir - wann immer möglich - aufrechterhalten wollen und die doch niemals real sein kann. Bis vor wenigen Augenblicken dachte ich, dass ich diesen Hass, die Erinnerung und die Wunden der Vergangenheit unter Kontrolle habe.
Eine Illusion.
Sie haben mich eingeholt.
Überholt.
Die Kontrolle übernommen.
Ich zwinge mich dazu, die Illusion der Kontrolle über mein Handeln wieder aufzubauen und meinen Blick wieder auf die Szenerie vor mir zurichten.
Ich sehe nun nicht mehr nur ihr Gesicht, sondern auch ihren Körper, wie er halb auf dem Rücken, mit verdrehten Gliedern vor einem großen, modernen Bett liegt.
Ich sehe die Stichwunden, die mein Messer in ihrem Bauch und ihrer Brust hinterlassen hat.
Den zerfetzten BH, schwarz und mit feinen Spitzen.
Rote Striche auf ihrer weißen Haut. Manche größer, ja fast schon klaffend. Manche eher klein und zart.
Letztere waren die ersten. Zögerlich ausgeführt. Zeugen meines gescheiterten Versuches die Kontrolle nicht zu verlieren, mich dem Hass nicht vollständig zu ergeben.
Vergeblich.
Ich erinnere mich daran, wie sie aussah, bevor ich sie zum Objekt meines Hasses gemacht hatte.
Bevor sie tot auf dem Boden vor mir lag.
Sie war eine schöne Frau. Mittelgroß. Schlank. Nicht dünn oder dürr, wie die Models, die uns die Werbung als schön verkaufen will. Sportlich, ohne die weiblichen Kurven zu verlieren. Braune Haare, die sie meist offen über die Schulter fallen ließ oder wenn nötig zu einem einfachen Zopf zusammenband. Ein freundliches, offenes Gesicht. Perfekte Lippen, die fast immer zu Lächeln schienen. Augen die einem stets das Gefühl gaben willkommen zu sein.
All dies war ihre Maske.
Gestaltet und gepflegt, um nach außen das Bild einer ehrlichen und freundlichen Frau zu vermitteln. Einer starken Frau, die es nicht nötig hat sich hinter einer Maske zu verstecken.
Welche Ironie.
Nie hätte ich geglaubt, dass sie in der Lage wäre mir so etwas anzutun.
Nie hätte ich geglaubt, dass ich auf einen Menschen wie sie hereinfallen würde.
Welch ein Irrglaube.
Ich schiebe die Erinnerungen an sie weg und fokussiere wieder das Zimmer. Ein großes Bett. Rustikal und doch modern. Dunkle, glänzende Bettwäsche. Blau. Satin. Das Bett ist aus Holz. Ist es Kiefer? Oder doch eher Buche? Eigentlich interessiert es mich nicht, Holz ist Holz, aber meine Gedanken schweifen immer wieder ab. Es fällt mir schwer mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich atme einmal tief ein und lasse meinen Blick weiter durch das Zimmer wandern.
Über dem Bett hängt ein Kunstdruck. Ein Motiv aus der Region. Weiße Gipfel, raue Berge. Mittendrin eine einfache Hütte aus Holz.
Einsam und idyllisch.
Perfekt für eine ruhige Zeit zu zweit.
Ich war nicht eingeladen.
Ich war zu viel.
Jetzt bin ich alleine.
Sie war die Erste, aber nicht die Einzige. Zwei. Ein Paar.
Er ist groß, athletisch, mit markanten Gesichtszügen und tot.
Tot.
Drei Buchstaben, ein Wort, hart und endgültig.
Er liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett, der Kopf hängt leicht über den Rand, die Kehle zerfetzt, der rechte Arm bis auf den Knochen zerschnitten.
Blut sickert durch die Bettdecke, durch die Matratze und lässt das dunkle Blau schwarz erscheinen. Wo der Stoff es nicht schnell genug aufnehmen kann, sucht es sich einen anderen Weg, läuft an der Seite des Bettes hinunter und vereinigt sich mit dem Blut der Frau.
Sieht man den Unterschied?
Sieht man wo sein Blut beginnt und Ihres endet? Wo es sich vereint?
Ich nehme mir den Augenblick, um darüber nachzudenken, wie gleich und doch wie unterschiedliche wir auf dieser Eben sind, auf der Ebene des Blutes.
Hier auf dem Boden sieht man keinen Unterschied.
Die gleiche Farbe, die gleiche Konsistenz.
Und doch ist er da.
Nachweisbar.
Unterscheidbar.
Sollten sie je diesen Ort finden, würden sie wissen, dass das Blut von mehr als einer Person stammt, dass es ein Mann und eine Frau waren, dass er auf dem Bett und sie auf dem Boden lag. Sie würden die DNA untersuchen, sie würden herausfinden wer hier gestorben ist.
Aber das liegt in der Zukunft und ist jetzt nicht weiter wichtig.
Wichtiger ist, was sie nicht wissen werden.
Sie werden nicht wissen, dass nicht viel gefehlt hatte, dass meine Geschichte fast vollkommen anders verlaufen wäre, dass sie an dieser Stelle beinahe zu Ende gewesen wäre.
Sie werden nicht wissen, dass nicht viel gefehlt hatte und ich würde mit dem Gesicht nach unten in meinem Blut liegen.
Doch es kam anders.
Glück.
Oder Pech.
Zwei von Grund auf verschiedene Perspektiven einer Geschichte.
Seine und meine.
In einer gerechten Welt würde er noch leben.
Gerecht.
Glücklicherweise ist die Welt selten gerecht. Dieses eine Mal muss ich mir eingestehen, ist mir die ungerechte Seite der Welt auch eindeutig lieber.
Fehler.
Mein Fehler.
Ich hatte ihn unterschätzt.
Ich ging davon aus, dass auch er eine Maske trägt, dass sein gestählter Körper eine Fassade ist, dass er beim Anblick der sterbenden und schreienden Frau um Gnade flehen oder sich ergeben würde, dass es einfach sein würde, mich seiner zu entledigen.
Ein Irrtum.
Er hatte geschlafen, als ich das Zimmer betrat.
Dabei hatte er sich in die dicke, jetzt von seinem Blut getränkte, Bettdecke gewickelt, um sich so vor den arktischen Temperatur der winterlichen Bergwelt zu schützen. Er muss tief geschlafen haben, den er merkte nicht wie die Frau aufstand, um herauszufinden, was für ein Geräusch sie aus den Tiefen ihres Traumes gerissen hatte.
Ich hatte das Geräusch verursacht, als ich über die alte Holztreppe ins erste Stockwerk schlich.
Ein Knarren, fast zu erwarten bei einer Treppe wie dieser, leise zwar aber trotzdem zu laut.
Zu laut, als dass sie es nicht gehört hatte.
Zu laut, als dass sie nicht neugierig geworden wäre, was oder wer es verursacht hatte.
Aber ich war schneller als sie, erreichte das Schlafzimmer als sie gerade das Bett verlassen hatte.
Dort stellte ich sie zur Rede und sie starb.
Unsere Stimmen störten seinen Schlaf und er bewegte sich im Traum unruhiger.
Ihre Schreie weckten ihn und er überraschte mich.
Er wachte auf, als mein Messer ihren Körper zerschnitt, aber anstatt geschockt zurückzuweichen, griff er an.
Die dicke Bettdecke mit der blauen Satin - Bettwäsche rettete mir womöglich das Leben.
Ich hatte ihm und dem Bett meine linke Seite zugewandt, als er versuchte an mich heranzukommen.
Doch die Decke behinderte ihn.
Verlangsamte ihn.
Sorgte dafür, dass er nur meinen linken Arm zu fassen bekam. Ich konzentriere mich auf die Stelle an meinem Bauch, an der er mich mit seiner Faust traf. Ich spüre sie noch immer. Ein Schlag, der mir den Atmen aus der Lunge trieb und der mich für einen kurzen Moment lähmte.
Doch er konnte diese Sekunden der Schwäche nicht nutzen.
Konnte der Decke nicht entkommen, war gefangen.
Gefangen vor den der Bettdecke die ihn noch vor wenigen Minuten vor der Kälte schützte.
Ich erholte mich, während er noch meinen linken Arm umklammert hielt und seine Füße zu befreien versuchte. Auch hier spüre ich noch die Stelle, an der seine Finger zugriffen und mich an ihn banden.
Sein Griff war so fest, dass für mich keine Aussicht bestand aus ihm zu entkommen.
Doch ich musste nicht entkommen. Ich hatte einen Vorteil.
Eine Waffe, ein Messer.
Und er hatte die falsche Hand. Die Linke, die unbewaffnete, die ungefährliche.
Ich sah das Begreifen in seinen Augen, als ich mein Messer an seinem Arm ansetzten, an seinem Knochen entlang führte, seine Muskeln und Sehnen zerschnitt.
Noch während ich die Bewegung ausführte, fand ein Teil meines Bewusstseins Zeit, die Schärfe des Messers zu bewundern. Mir zu meiner ausgezeichneten Arbeit zu gratulieren.
Perfekt.
Tötlich.
Seine Haltung auf dem Bett und der Griff an meinen Arm sorgten dafür, dass sich seine Hand um einiges über seiner Schulter befand. Ich brauchte also nichts weiter zu tun, als seiner Führung zu folgen, um an seinem Hals zu landen. Geleitet von seinem eigenen Arm schnitt meine Klinge durch seine Kehle. Auch wenn diese Verletzung ihn schlussendlich töten würden, dauert es eine Weile, bis ein Mensch genug Blut verloren hat, um das Bewusstsein zu verlieren. Bis er genug Blut verloren hat, um zu sterben.
Angetrieben von der Wut, dem Entsetzten und dem seinen Kreislauf überschwemmenden Adrenalin versuchte er sich wieder aufzurichten, weiter zu kämpfen und mir seine Faust erneut in den Magen zu rammen.
Doch seine linke Hand hatte mit dem zerfetzen Muskeln nicht mehr die Kraft mich zu halten, und ich konnte seinem Schlag problemlos ausweichen.
Ich griff in seine dunkelblonden Haare und riss seinen Kopf nach oben. Seine Augen starrten mich an.
Anklagen. Wissend. Trotzig.
Meine Hand führte das Messer erneut über seine Kehle. Von rechts nach links. Zerschnitt Haut, Muskeln und die Kehle. Der Knochen stoppte es, leitete es nach vorne ab. Aus zwei Schnitten wurde ein einer, der den Hals in eine einzige große Wunde verwandelte.
Seine Augen wurden trüb. Er starb und ich ließ seinen Kopf los.
Er landete auf dem Bett. Tot.
Jetzt stehe ich vor ihm und kann nicht umhin, ihn für seinen Mut und seinen Kampfgeist zu bewundern. Er hat nicht aufgegeben, selbst als sein Tod sicher war.
Eine Verschwendung.
Notwendig und unvermeidbar, aber trotzallem eine Verschwendung.
Langsam sucht sich das erste Tageslicht seinen Weg durch die Fensterläden und mir wird klar, dass es an der Zeit ist fortzufahren, dass ich es mir nicht leisten kann, weiter zu verweilen und in Erinnerungen zu schwelgen.
Ein neuer Tag bricht an und es ist noch viel zu tun, bevor ich diese Hütte und seine Bewohner hinter mir lassen kann.
Der Moment, wenn einem gerade bewusst geworden ist, dass man einen oder sogar mehrere Menschen getötet hat, ist der Moment, in dem der entscheidende Teil der Geschichte eigentlich erst beginnt.
Grundsätzlich gestaltet
sich das Töten eines Menschen verhältnismäßig einfach. Unzählige Wege und
Mittel können den Tod herbeiführen. So verschieden und doch mit dem gleichen
Ende.
Viele Menschen würden mir
in diesem Punkt sicher widersprechen, aber auch wenn sie es nicht glauben
wollen, sie wären dazu mit Sicherheit in der Lage - wenn die Situation nur
motivierend genug ist.
Viel schwieriger und
komplizierter ist es allerdings, nach einer solchen Tat sich darauf zu
konzentrieren, nicht für diese zur Rechenschaft gezogen zu werden.
In einem solchen
Augenblick geht es darum, seine eigenen Spuren zu verwischen, wenn möglich
falsche Fährten zu legen oder am Besten die Leichen und den Tatort verschwinden
zu lassen. Um dies zu können, muss man sich jedoch bewusst machen, was
geschehen ist und welcher Teil der Geschichte einen am Ende verraten könnte.
Ich bin in dieser Minute,
ja in dieser Sekunde, an diesem Punkt in meinem Leben angekommen, habe die im
Hass entstandene Szene Stück für Stück wahrgenommen und anschließend realisiert
was ich getan habe. Wie ich es getan habe.
Realisiert.
Akzeptiert.
Jetzt muss ich Handeln.
Ich weiß, dass die Toten -
sollten sie gefunden werden - direkt zu mir führen werden.
Es ist unvermeidlich.
Auch das habe ich
akzeptiert.
Bewusst in diesem
Augenblick, unbewusst in dem Moment, als mein Messer in den Körper meiner Frau
eindrang. In die Frau, die mir die letzten 3 Jahre als Ehefrau zur Seite stand
und mit der ich die letzten 7 Jahre zusammen gelebt habe. Die Frau, die mich
verraten und betrogen hat. Die Frau, die mir das Herz nahm und den Hass
entfachte.
Die Frage ist nur, ob sie
mich, in dem sie auf mich zeigt, im Tode erneut verraten oder ob sie die
Polizei von mir ablenken wird.
Der ängstlichere Teil
meines Geistes drängt mich dazu, alle Beweise zu vernichten, die Leichen, das
Blut, meine Spuren sowie die ganze Hütte einfach in Flammen aufgehen zu lassen.
Vielleicht würde die
Polizei auf diese Art an einen Unfall glauben. An einen offener Kamin, an
Feuer, dass außer Kontrolle geraten ist. An eine Unachtsamkeit und
Unvorsichtigkeit der Bewohner.
Und wenn nicht?
Ich muss an die
verschiedenen Polizei – Serien denken, die jeden Abend im Fernsehen laufen. An
die Ermittlungsarbeit der Kriminallabore, die anhand von Knochensplittern ganze
Fälle rekonstruieren. An die Wissenschaftler, denen ein Haar ausreicht, um den
Mörder zu überführen.
Plötzlich kommt mir mein
Fall, mein Mord so offensichtlich vor. Jeder der die Hütte sehen wird, wird
doch sofort wissen, dass ich es war.
Zweifel.
Sie bleiben, wenn der Hass
und die Wut verschwunden ist.
Verzweiflung.
Sie kommt, wenn die
Zweifel überhand nehmen.
Ich darf nicht zulassen,
dass mich die Zweifel überschwemmen, dass ich mich in der Situation
verrenne.
Ich muss die Ruhe bewahren
und nachdenken.
Ich schließe die Augen und
konzentriere mich darauf, meinen Geist und meinen Körper zur Ruhe zu bringen.
Erst jetzt wird mir bewusst, dass meine Hände zittern, mein Herz wie verrückt
hämmert und mir einzelne Tropfen Schweiß ganz langsam den Rücken runter laufen.
Tatsache ist, dass ich
keine Ahnung habe, wie die Polizei arbeitet, wie realistisch die Fernsehserien
wirklich sind und wie groß die Gefahr ist geschnappt zu werden.
Ich weiß aber, dass ich
keinerlei Vorsichtsmaßnahmen getroffen habe, um Spuren zu verhindern. Ich weiß
außerdem, dass ich als Ehemann sehr wahrscheinlich ins Visier geraten werde.
Ich weiß, dass es nur eine
Frage der Zeit ist, bis sie mich schnappen werden.
Zeit.
Mir wird klar, dass ich
diese Zeit nutzen werden, dass ich sie nutzen muss.
Zeit in der ich versuchen
muss, die Erkenntnis, die ich durch den Verrat meiner Frau gewonnen habe, an
die Welt weiterzugeben.
Ich werde den Menschen
ihre Masken nehmen und der Welt zeigen wie die Menschen wirklich sind. Wie
verlogen und falsch, wie armselig und heuchlerisch, wie böse und hinterlistig
ihre Mitmenschen wirklich sind.
Ich schiebe meine Ängste
zur Seite und weiß, was ich tun muss.
Es ist Zeit mit meinem Werk,
meinem Vermächtnis zu beginnen.
Und mit meiner Frau und
ihrem Liebhaber fange ich an.
----------------------- Kapitel 2 - Mein erstes Werk ---------------------------
Ich weiß genau was ich mit
meinem ersten Werk aussagen will, und doch weiß ich nicht, wie ich es
ausdrücken soll.
Nicht mit Sprache, das
wäre zu direkt und ist in diesem Stadium meiner Geschichte noch nicht
angebracht. Später, wenn sie mich gefasst haben, erst dann wird die Sprache
meine Ausdrucksweise sein.
Symbole sollen mein Werk
erklären, sollen der Welt verdeutlichen was ich sehe.
Das weiß ich.
Das Gesicht eines Menschen
ist dafür geschaffen seine Emotionen zu zeigen, sein Selbst widerzuspiegeln und
mit dem Gegenüber zu interagieren.
Das Gesicht ist die Maske
des Menschen.
Wir versuchen es zu
kontrollieren, mit Schminke zu verändern oder zu überdecken, um zu verbergen was und wie wir
wirklich sind.
Ich werde meinen beiden
Opfern das Gesicht nehmen, um ihnen so symbolisch die Maske nehmen.
Auch das weiß ich.
Wie man einen Menschen
häutet, weiß ich jedoch nicht. Doch ich werde es lernen. Wenn ich beim Kochen
einem Fisch seine Haut nehmen will, muss ich dies ebenso ausprobieren.
Üben.
Mein Messer ist scharf und
ich bin willens mein Können auch in diese Richtung auszuweiten. Das erste Mal
wird sicher nicht schön. Aber mit jedem Versuch sollte es besser werden.
Ich bin bereit es zu
lernen.
Aber ihnen das Gesicht zu
nehmen ist nur der Anfang. Oder genauer das Ende, die Schlussfolgerung, das
Fazit.
Jedes gute Statement
besteht nicht nur aus der Aussage an sich, sondern beinhaltet ebenso eine
Begründung. Warum musste es soweit kommen und was hat mich dazu bewogen, ihr
wahres Selbst offenzulegen.
Nur ich weiß um die
Gründe.
Betrug.
Verrat.
Aber die Entdecker meiner
Botschaft sollen es ebenfalls sehen, wissen und verstehen.
Noch bin ich mir nicht im
Klaren darüber, wie ich dies am Besten verdeutliche, wie ich einem Fremden
zeige, wie die beiden Toten wirklich waren.
Noch weiß ich es
nicht.
Wenn die Zeit da ist,
werde ich die Antwort auf diese Frage kennen, werde ich fühlen, dass es richtig
ist.
Später.
Als erstes werde ich mir
einen Überblick über die Bühne verschaffen. Das Schlafzimmer, in dem ich noch
immer stehe, hatte ich ja schon einer näheren Prüfung unterzogen, und nur die
kleine Kommode gegenüber vom Bett, direkt links neben der Tür fehlte noch für
den Gesamteindruck.
Grundsätzlich ein schöner
Ort, um mein Werk zu präsentieren, aber nicht perfekt. Zu viel Blut
verunstaltet das Bild. Es würde sehr wahrscheinlich von den eigentlich
wichtigen Bestandteilen ablenken. Von meiner Botschaft.
Ich drehe mich um und
verlasse das Schlafzimmer. Die Tür lasse ich offen stehen. Aus einem
unerfindlichen Grund habe ich das Gefühl, dass sich die Leichen darin, sollte
ich sie schließen, gegen mich verschwören könnten.
Irrsinn.
Aber vermutlich ein
Produkt meiner unterdrückten Zweifel über die Zukunft, in Kombination mit einer
schon seit meiner Kindheit lebhaften Phantasie.
Mit der offenen Tür im
Rücken, nehme ich die Eindrücke von dem kleinen Flur in mir auf. Auch in dem
Flur setzt sich der Eindruck einer einfach gehaltenen Berghütte, der schon auf
dem Bild im Schlafzimmer entstanden ist, fort. Auf der einen Seite führt die
alte, knarrende Treppe wieder nach unten ins Erdgeschoss. Sie ist steil und
eng. Es dürfte schwierig sein die beiden Leichen auf eine Bühne ein Stockwerk
tiefer zu bringen, ohne sie weiter zu beschädigen. Vor allem der Mann dürfte
mindestens so viel wiegen wie ich. Wenn nicht sogar mehr.
Schwer.
Vermutlich zu schwer für
mich.
Ich wende mich von der
Treppe ab und dem Flur an sich zu.
Er ist nur wenige
Quadratmeter groß und bietet niemals genug Platz um zwei Leichen in Position zu
bringen.
Eng.
Unpassend.
Bleibt nur noch der Raum
gegenüber.
Ich lege meine Hand auf
die Türklinge und versuche zu spüren, was diese Berührung in mir bewirkt. Wird
dieser Raum der sein, den ich suche? Werde ich hinter dieser unscheinbaren Tür
den perfekten Hintergrund für mein Werk finden? Oder wird auch diese
Möglichkeit sich in Luft auflösen und mich zwingen meine Ideen zu verändern?
Langsam senke ich die Klinge und schiebe die Tür auf.Auch sie knarrt. Sie wurde vermutlich lange nicht geöffnet.
Dunkel.
Abgestandene Luft.
Mit der rechten Hand taste ich nach dem Lichtschalter, denn sehen kann ich in dem Raum nichts. Jemand muss die Fenster komplett abgedunkelt haben, kein Lichtstrahl findet seine weg hindurch.
Endlich ertaste ich einen kleinen unscheinbaren Hebel und lege ihn um.
Für einen Moment, der mir wie eine Ewigkeit vorkommt, scheint es so, als würde nichts passieren. Für einen Moment scheint die Zeit wieder stehen zu bleiben. Ich merke, dass ich vor Anspannung den Atem angehalten habe und kann trotzdem nicht ausatmen.
Doch dann erwacht eine Glühbirne zu neuem Leben und erhellt den Raum mit ihrem sanften, warmem Licht.
Die Anspannung fällt von mir ab, ich kann wieder normal atmen, kann mein Glück kaum fassen.
Es ist perfekt.
Was ich sehe gefällt mir. Dies wird meine Bühne sein. Hier werde ich mein Werk erschaffen.
Ich hatte richtig vermutet, als ich davon ausging, dass das Zimmer schon seit längerem nicht mehr verwendet wird.
Es ist nicht so, dass es verwahrlost, dreckig oder heruntergekommen aussieht. Vielmehr wirkt es so, als wäre es am Morgen verlassen worden und würde jetzt darauf warten, dass die Bewohner nach getaner Arbeit am Abend zurückkehren.
Nur, dass dieser Morgen schon mindestens ein paar Monate zurückliegt und der Abend der Rückkehr noch nicht angebrochen ist.
Hatte das andere Schlafzimmer eine angenehme Atmosphäre ausgestrahlt, die jeden Gast in seinem Bett willkommen heißen sollte, war dieses Schlafzimmer ein verdrehtes Spiegelbild davon.
Wo das erste Zimmer durch die Satin - Bettwäsche einen modernen Eindruck erweckte, sorgt die mit kleinen Blümchen verzierte Baumwollbettwäsche für ein Gefühl des Vergangenen.
Wo das Bild der Berghütte mit den schneebedeckten Bergen Ruhe und Frieden verbreitete, wartete hier eine schweres, dunkles Holzkreuz auf die müden Besucher.
Die kleine Kommode im ersten Schlafzimmer findet hier ihren Gegenüber in einem großen Kleiderschrank aus dunklem Holz, in Kombination mit einer ebenso wuchtigen und dunklen Kommode. Das dunkle Holz findet sich ebenfalls am Bett, welches zwar ähnlich aufgebaut ist wie das erste, jedoch nicht aus dem selben hellen Holz hergestellt wurde. Dunkel ist der Eindruck, dunkel ist die Atmosphäre, die das Schlafzimmer verbreitet.
Was dieses Schlafzimmer jedoch in Wirklichkeit von dem ersten unterscheidet, sind die Bewohner.
Es ist der Unterschied zwischen einem Gästezimmer, dass jeden Besucher freundlich empfangen soll, und einem Elternschlafzimmer, aus einer alten Zeit, mit anderen Idealen.
Das eine flüchtig und anonym, das andere privat und persönlicher.
Was die Möbel an düsterer Atmosphäre verbreiten, wird erhellt durch die fröhlichen Familienbilder auf und über der Kommode.
In einigen Jahrzehnten werden unsere Kinder und Kindeskinder den Einrichtungsstil der heutigen Zeit vermutlich genauso hässlich und unverständlich finden, wie wir heute den, der Generationen vor uns.
Das sanfte Band, das Familien zusammenhält, wir aber auch dann noch genauso aussehen wie heute. Gewoben aus den schönen Erinnerungen an gemeinsame Momente wird es auf vielfältige Weise Gestalt annehmen.
Wie zum Beispiel in der Sammlung an Moment des Familienlebens in diesem Schlafzimmer.
Ich kenne die Bewohner nicht und doch weiß ich, dass es eine vom Glauben, vom Vertrauen in den jeweils anderen und von Liebe geprägte Ehe war.
Wo in dem ersten Schlafzimmer die Schatten von Betrug und Verrat in einer Ehe sich über die freundliche und friedliche Atmosphäre des Schlafzimmers gelegt haben, haben in diesem Schlafzimmer schon vor Jahren, die Strahlen der Liebe und Zweisamkeit die Dunkelheit des Zimmer vertrieben.
Licht und Schatten.
Liebe und Hass.
Vertrauen und Verrat.
Es heißt Gegensätze ziehen sich an. Nun denn, dann soll es so sein.
Das Licht, die Liebe und das Vertrauen, dass die Bewohner in diesem Schlafzimmer zurückgelassen haben, werden den Schatten, dem Hass und dem Verrat den ich erlebt habe eine Bühne geben.
Das
unverwechselbare Gefühl von Zufriedenheit macht sind in mir breit.
Aber
nicht nur das. Nicht so eindeutig.
Gefühle
sind wie ein Gericht, wie ein mehrere Gänge umfassendes Menü. Nicht wie das
Fertigfutter, mit dem die meisten Menschen sich heutzutage mästen. Sondern
vielmehr wie die Kreationen eines Spitzenkochs.
Sie
bestehen nie nur aus einer Komponente. Sind stets mit raffinierten Gewürzen
verfeinert. Nie offensichtlich.
Nie
einfach.
Erst
wenn man sich auf sie einlässt, kann man all ihre Nuancen erfahren, kann man
schmecken, was sich hinter dem ersten Eindruck versteckt. Sich ergänzen sich,
sind widersprüchlich und harmonieren im selben Augenblick.
Ich
schließe die Augen.
Konzentriere
mich vollkommen auf das Gefühl, dass ich empfinde, wenn ich an meine Bühne
denke, an das Werk, dass ich vollbringen werde.
Vordergründig
zeigt sich die Zufriedenheit, die Zufriedenheit darüber, dass die gefundene
Bühne all meine Erwartungen und Hoffnungen erfüllt. Meine sich entwickelnde
Idee des Werkes ergänzt und vervollständigt.
Ich
lasse dieses Gefühl der Zufriedenheit auf meiner Zunge zergehen und entdecke
neue Aspekte, die vorher überdeckt wurden.
Das
Gefühl der Angst, düster, stechend, berauschend. Widersprüchlich. Die Angst
erwischt und verurteilt zu werden. Die Angst, dass die Menschen mich, mein
Werk, nicht verstehen werden. Dass ich versagen werde, in meinem Ziel ihnen die
Augen zu öffnen. Die Angst, die meine Hände zum Zittern bringt, mir den Schweiß
auf die Stirn treibt. Die Angst, die aber auch berauscht, lockt, verführt.
Angst,
die ich wieder spüren will, nur um zu zeigen, dass ich über ihr stehe, sie
besiegen kann. Es ist das gleiche Gefühl, das Menschen dazu bringt, aus
Flugzeugen zu springen, ohne Sicherung zu klettern oder auf viele andere Art
ihr Leben zu riskieren. Die Angst, das Leben wie man es kennt zu verlieren.
Aber
auch das Gefühl vergeht und wird zu einer Nuance meiner Zufriedenheit.
Der
leichte Hauch von Vorfreude, der unter den Schichten aus Zufriedenheit und
Angst zum Vorschein kommt überrascht mich. Bisher ging ich davon aus, dass es
meine Pflicht ist das Werk zu vollbringen, da sonst keiner zu sehen scheint,
was ich in den Menschen sehen kann. Eine Pflicht, die man erledigt, weil sie
erledigt werden muss. Nicht weil sie einem Freude bereitet.
Doch
jetzt merke ich, dass ich mich darauf freue, das Werk zu vollbringen. Darauf freue,
den beiden Leichen im Nebenraum das Gesicht abzuziehen. Die Neugier zu
befriedigen, die danach lechzt herauszufinden, wie es sich anfühlen wird.
Dass
ich mich darauf freue, dem ersten Werk weitere folgend zu lassen. Anderen
Menschen das Leben zu nehmen, um ihre bösen Seiten der Welt zu präsentieren.
Freude
und Neugier, zwei unerwartete Nuancen meiner Zufriedenheit, aber keine
unwillkommenen.
Langsam
öffne ich wieder die Augen und bin zufrieden. Dies ist mein Schicksal und ich
freue mich darauf es zu erfüllen.
Es
ist Zeit zu beginnen.
Ich
entschließe mich, die Leichen im Zimmer des Mordes vorzubereiten. Die Reinheit
der Bühne soll nicht durch das Spritzen von Blut zerstört werden.
Alles
soll perfekt sein.
Langsam
formt sich ein Bild meines Werkes in meiner Vorstellung. Noch ist es nicht
perfekt, aber es wird wachsen, gedeihen, bis es fertig ist.
Doch
eins weiß ich, die Frau wird meine Hauptdarstellerin sein.
Sie
wird im Mittelpunkt stehen, denn Sie ist der Ursprung von alledem.
Sie
trug die Maske.
Sie
beging den Verrat.
Der
Mann war nur Mittel zum Zweck. Und auf diese Weise wird er auch mir dienen.
Den
ersten Zweck den er zu erfüllen hat, ist mir als Übungsobjekt zur Verfügung zu
stehen. Wenn ich mit seinem seiner Haut zurechtkomme, wird es auch bei ihr
funktionieren.
Jetzt,
da ich weiß, was ich zu tun habe, zieht es mich zurück in das Zimmer des
Mordes. Ich werde mit seinem Rücken beginnen. Eine große Fläche. Vermutlich ein
guter Anfang um zu üben. Und selbst wenn es nicht sofort klappt, wird es das Bild
später nicht zerstören. Ich werde ihn später einfach mit den Rücken aufs Bett
legen, ein paar Anfängerfehler werden dann sicher nicht weiter auffallen.
Praktischerweise
ist er auf dem Bauch gestorben, an der Bettkante. Ich muss ihn nur ein wenig
von der Bettdecke befreien und kann mit der Arbeit beginnen. Die Haut ist noch
warm, wenn auch schon deutlich kälter als bei einem lebenden Menschen. Die
kühle Raumluft lässt den Körper langsam aber sicher abkühlen.
Ich
betrachte ihn. Überlege wo ich am Besten den ersten Schnitt setzen soll.
Unter
seiner Haut sind deutlich die trainierten Muskeln zu sehen. Schon vorher hatte
ich den Eindruck, dass er zu der sportlichen Sorte Mann gehören musste. Die
definierten Rückenmuskeln bestätigen diese Vermutung. Sein Missgeschick mit der
Decke, die Tatsache, dass ich den Kampf gewonnen habe, war wirklich ein
Glücksfall. Rein von der Kraft her, hätte ich nie eine Chance gehabt.
Ich
setze den ersten Schnitt am unteren Ende des Rücken an und hinterlasse eine
feine rote Linie auf seiner Haut.
Wieder
einmal stelle ich fest, dass mein Messer ist wirklich scharf ist. Der Gefühl
von Stolz weht sanft wie ein leichter Windhauch über mich hinweg.
Mit
leichtem Druck führe ich es seine linke Seite hinauf, an der Taille vorbei, bis
unter die Achsel. Auch hier zeigt eine feine rote Linie, wo mein Messer sich seinen
Weg durch die Haut gesucht hat.
Weiter
schneidet ich entlang der Schulter, am Nacken vorbei, bis hinüber zum anderen
Arm und den ganzen Weg wieder hinunter zum Anfang.
Es
ist kein perfektes Viereck und kein Quadrat, aber es ist in sich geschlossen und
rahmt die große Rückenfläche ein.
Ich
entscheide mich für die Ecke an der rechten Hüfte und versuche mit Hilfe des
Messers ein Stück Haut soweit zu lösen, dass ich es greifen und festhalten
kann.
Selbstverständlich
klappt es nicht beim ersten Mal. Aber das hatte ich auch nicht erwartet. Ich
versuche es trotzdem weiter, bis ich schlussendlich den Anfang gefunden habe.
Vorsichtig
beginne ich, die Haut vom Körper zu lösen. Während ich mich auf meine Aufgabe
konzentriere, schleicht sich die Frage, wie reißfest ist eine auf diesem Weg
abgezogene Haut eigentlich ist, in meine Gedanken. Unsicher darüber, wie die
Antwort auf diese Frage aussehen mag, gehe ich mit einer Vorsicht zu Werk, die
mich selbst überrascht. Ich ziehe an der Haut und wenn nötig helfe ich mit dem Messer
nach, gleichzeitig versuche ich zu erkennen, ob die Haut zu reißen beginnt.
Ich
scheine die Technik zwar noch nicht perfekt zu beherrschen, aber gleichzeitig
stelle ich fest, dass ich wohl nicht zu viel falsch mache. Es funktioniert. Das
vom Körper gelöste Stück Haut wird größer.
Bis
ich mit dem Körper des Mannes fertig bin, werde ich sicher um einiges besser
sein, denn immerhin habe ich noch einiges vor mir. Der Entschluss ihn von
seiner gesamten Haut zu befreien festigt sich und findet seinen Platz in meinem
Werk.
Ich
weiß nicht wie viel Zeit vergangen ist, ob es schon Mittag ist oder sich gar
der Tag schon wieder zum Ende neigt. Ich habe komplett das Zeitgefühl verloren
und doch meine Arbeit fast vollendet.
Die
Bettdecke liegt jetzt auf dem Boden, dunkel gefärbt von dem Blut des Toten auf
ihr. Seine Haut habe ich auf dem Bett zusammengelegt.
Ordentlich.
Fast
wie ein Hemd oder ein teurer Anzug.
Schlagartig
habe ich ein Bild vor Augen, wie die Haut wohl auf einem Kleiderbügel aussehen
würde, an den Kanten wieder zusammengenäht zu einem Anzug, den der Tode nur
eben kurz ausgezogen hat.
Ich
kann ein leichtes Grinsen nicht verhindern, als ich mir dieses absurde Bild einfach
vorstellen muss.
Unpassend?
Ja
vielleicht. Oder sogar wahrscheinlich. In Gegenwart der Verstorbenen, der
Ermordeten, sollte ich ein wenig mehr Ernsthaftigkeit und Respekt zeigen. Doch
ich kann nicht verhindern, dass mir dieses Bild immer und immer wieder durch
den Kopf geht. Ich will es überhaupt nicht verhindern, denn es lässt mich
grinsen, ja fast schon lachen.
Es
macht mich glücklich.
Vielleicht
sollte ich es in die Tat umsetzten und aus dem Gedanken Wirklichkeit werden
lassen. Bisher habe ich praktischerweise auch noch keine passende Stelle für
die abgelegte Haut in meinem Werk. Bis auf das Gesicht. Aber das brauche ich
für einen Anzug auch nicht.
Ich
bücke mich hinunter zur Decke und nehme die beiden Ecken in die Hand. Ohne sie
könnte ich den Leichnam nie in das andere Zimmer transportieren. War er vorher
schon groß und schwer, bedeutet das Fehlen der Haut zusätzlich noch weniger
Halt für meine Hände. Es war schon schwer genug ihn auf die Decke zu legen.
Also
beginne ich langsam die Decke über den Boden zu ziehen. Praktischerweise ist
der Holzboden relativ glatt. Nicht unbedingt eben. Aber ein Teppichboden hätte
mit Sicherheit deutlich mehr Widerstand bedeutet.
Außerdem
hinterlasse ich auf diesem Weg keine zu offensichtliche Spur auf den Boden.
Keine breite, blutige Schleifspur. Vielleicht werden mir die Besitzer der Hütte
dafür zumindest ein wenig dankbar sein. Immerhin ein Raum weniger, der von Blut
und Leichen gesäubert werden muss.
Dabei
wird mir bewusst, dass ich überhaupt nicht weiß, wem diese Hütte gehört. Ob sie
es sich überhaupt leisten können sie zu renovieren, wenn mein Werk erst einmal
entdeckt worden ist?
Ich
hoffe es.
Die
Bilder im anderen Zimmer zeigen ein sympathisches Ehepaar im mittleren Alter.
Wenn man die Zeit überschlägt, die seit dem Entstehen der Bilder vergangen ist,
dürften sie jetzt schon im Rentenalter oder kurz davor sein. Der Sohn, der auf
dem einen Bild zwischen Ihnen steht, erwachsen und vielleicht sogar schon
selbst verheiratet.
Es
sieht nach einer zufriedenen und guten Familie aus. Aber andererseits, welcher
Familie sieht man die Probleme und Lügen auf Bilder jemals an?
Ich
kenne sie nicht.
Kann
auf sie keine Rücksicht nehmen.
Die
Decke und der relativ saubere Flur werden genügen müssen.
Es
ist anstrengend die Decke Stück für Stück über den Boden zu ziehen. Der
Holzboden mag zwar weniger Widerstand aufbringen als Teppich, aber im Gegenzug
haben die alten Dielen Splitter, Ecken und Kanten, an denen die Decke immer
wieder hängen bleibt.
Die
schöne blaue Satin - Bettwäsche ist schon nach der Hälfte der Strecke deutlich
mitgenommen. Wenn ich erst beide Leichen auf der Bühne habe, wird sie leider
nicht mehr zu gebrauchen sein.
Zu
schade.
Es
ist ein schönes Blau.
War
ein schönes Blau.
Denn
jetzt ist es ja vom Blut verfärbt.
Ich
lege die Decke parallel zum Bett und fasse ihn unter den Armen. Ein Körper ohne
Haut fühlt sich komisch an. Merkwürdig trocken, an den Stellen, an denen das
Blut schon getrocknet ist.
Ungewohnt.
Es
kostet mich einige Anstrengung den Oberkörper auf das Bett zu hieven. Immer
wieder droht er der Schwerkraft nachzugeben und wieder zu Boden zu fallen. Ich
kann nicht aufgeben, aber doch habe ich das Gefühl, als würde sein Hinterteil
nie auf der Bettkante liegen bleiben wollen.
Selbst
als gehäutete Leiche widersetzt er sich mir und kämpft gegen mich an.
Respekt.
Auch
wenn dieser Widerstand nur eingebildet ist und es an meiner eigenen Ungeschicklichkeit
liegt.
Ich
weiß nicht, der wievielte Versuch schlussendlich klappte, aber am Ende fehlen
nur noch die Füße, um in komplett auf die Bühne zu legen.
Das
genaue Positionieren ist im Vergleich dazu ein Kinderspiel.
Es
dauerte noch einmal eine halbe Ewigkeit, bist auch die Frau endlich auf dem
Bett angekommen ist und ich mit der Feinarbeit beginnen kann.
Zum
Glück hat die Totenstarre noch nicht eingesetzt. Wenn ich dem Glauben schenken
kann, was ich irgendwann einmal im Internet gelesen habe, dann sollte es auch
noch einige Stunden dauern. In den ersten 4 Stunden erstarren erst die
Augenlieder und Kaumuskeln, nach etwa 6 bis 12 Stunden die kleinen Gelenke und
erst nach über 12 Stunden ist sie komplett ausgeprägt.
Soweit
ist es aber noch lange nicht.
Und
so lange werde ich bis zur Vollendung des Werkes auch nicht mehr brauchen.
Ich
nehme eine tiefen Atemzug, genieße den Augenblick, versuche ihn bis ins letzte
Detail in meinem Gedächtnis auszunehmen. Ich spüre wie mein Atmen langsam und
kontrolliert meine Lungen füllt, dort einen Moment verharrt, bevor er meinen
Körper wieder verlässt. Ich konzentriere mich so stark, dass ich das Gefühl
habe, die Zeit nach meinem Willen anhalten zu können.
Nichts
entgeht mir, nichts werde ich vergessen.
Mein
erstes Werk ist vollendet.
Nein.
Falsch.
Mein
erstes eigenes Werk ist vollendet.
Der nette Psychologe -
zumindest gibt er sich alle Mühe "nett" zu wirken - sitzt mir noch
immer gegenüber, noch immer in einer scheinbar entspannten Haltung, noch immer
mit diesem freundlichen Lächeln.
Doch während ich diesen
ersten Teil meiner Geschichte erzählt habe, konnte ich sehen, dass meine
Schilderungen nicht ohne Spuren an ihm vorbei gegangen sind.
Er wollte es nicht zeigen,
aber ich habe es doch gesehen.
Erschrecken.
Angst.
Abscheu.
Gar nicht so nette Gefühlsregungen.
Aber auf eine gewisse Weise sehr befriedigend für mich. Der erste Schritt auf
dem Weg zu seiner Demaskierung ist getan. Noch verbirgt er seine wahren
Gefühle. Noch hat er den Versuch nicht aufgegeben mich zu täuschen, sich zu
täuschen, die Welt zu täuschen, darüber, wie er reagieren möchte und was er
fühlt.
Ich habe Zeit. Alle Zeit der
Welt, um ihm seine Maske zu nehmen. Noch ist meine Geschichte nicht zu Ende.
Seine Stimme reißt mich aus
meinen Gedanken.
Ein Widerspruch. Er ist ihm
aufgefallen.
Sehr gut.
Er führt aus, dass ich ganz
am Anfang von einem Haus erzählte, in dem eine Familie ihr Leben verlor. Sie
sollten die ersten gewesen sein, denen ich die Maske nahm. Wie ist es dann
möglich, dass ich meine Frau und ihre Affäre als mein erstes Werk bezeichne?
Wie kann es dann sein, dass der Verrat meiner Frau mich zu dieser Gewalttat
getrieben hat, wenn ich schon vorher einer ganzen Familie auf mein Gewissen
lud?
Ich kann ein grinsen nur
schwer unterdrücken. Hätte ich doch nicht gedacht, dass ihm diese Feinheit
auffallen würde. Immerhin geht es um nur ein Wort.
Erstes.
Erstes Werk, erstes Mal die
Maske genommen.
Ich widerstehe dem Drang ihm
mit einem süffisanten Lächeln zu seiner Beobachtungsgabe zu beglückwünschen.
Noch ist es zu früh ihm zu zeigen, wie viel Spaß mir unser Gespräch
mittlerweile macht.
Stattdessen mache ich ihn
darauf aufmerksam, dass es keine Fehler meinerseits war, sondern eine
Fehlinterpretation durch ihn. Eine verständliche, ja, aber trotzallem eine
Fehlinterpretation.
Meine Frau und ihr Geliebter
waren mein erstes eigenes Werk, weil es die ersten Menschen waren, die ich mit
meinen eigenen Händen getötet habe. Die Familie war die erste, denen ich die
Masken nahm. Das Töten überlies ich damals aber noch jemand anderem. Der
Menschennatur, der Rachsucht, der Eifersucht, dem Hass.
Ich brauchte nur zu
beobachten, was meine Worte in den Menschen auslösten.
Zu beobachten, was passiert,
wenn sie plötzlich ohne Maske dastehen.
Zu lernen, wie der Mensch in
seinem Innersten wirklich ist.
Ich vergrub dieses Wissen
und diese Erfahrungen hinter meiner eigenen Maske. Verdrängte den Hass auf die
Lügen hinter eigenen Lügen. Wuchs heran, lernte, studierte, heiratete und vergaß
was mich diese Familie lehrte.
Bis zu dem Moment, als meine
Lüge zerbrach, meine Maske mir genommen wurde und ich meine Bestimmung
erkannte. Bis meine Frau mir alles nahm und gleichzeitig so viel gab.
Nicht nur meine Bestimmung,
sondern auch den Impuls zu meinem ersten Werk.
Ich sehe ihm an, dass er mit
dieser Antwort nicht gerechnet hatte, dass sie ihn überrumpelt. Er möchte
wissen, was damals ihn diesem Haus, in diesem Wohnzimmer, in dieser Familie
passiert ist. Was ich gesagt und sie getan haben.
So sei es.
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