Montag, 13. Oktober 2014

Masken Kapitel 2 / Teil 2



Auch sie knarrt. Sie wurde vermutlich lange nicht geöffnet.
Dunkel.
Abgestandene Luft.
Mit der rechten Hand taste ich nach dem Lichtschalter, denn sehen kann ich in dem Raum nichts. Jemand muss die Fenster komplett abgedunkelt haben, kein Lichtstrahl findet seine weg hindurch.
Endlich ertaste ich einen kleinen unscheinbaren Hebel und lege ihn um.
Für einen Moment, der mir wie eine Ewigkeit vorkommt, scheint es so, als würde nichts passieren. Für einen Moment scheint die Zeit wieder stehen zu bleiben. Ich merke, dass ich vor Anspannung den Atem angehalten habe und kann trotzdem nicht ausatmen.
Doch dann erwacht eine Glühbirne zu neuem Leben und erhellt den Raum mit ihrem sanften, warmem Licht.
Die Anspannung fällt von mir ab, ich kann wieder normal atmen, kann mein Glück kaum fassen.
Es ist perfekt.
Was ich sehe gefällt mir. Dies wird meine Bühne sein. Hier werde ich mein Werk erschaffen.
Ich hatte richtig vermutet, als ich davon ausging, dass das Zimmer schon seit längerem nicht mehr verwendet wird.
Es ist nicht so, dass es verwahrlost, dreckig oder heruntergekommen aussieht. Vielmehr wirkt es so, als wäre es am Morgen verlassen worden und würde jetzt darauf warten, dass die Bewohner nach getaner Arbeit am Abend zurückkehren.
Nur, dass dieser Morgen schon mindestens ein paar Monate zurückliegt und der Abend der Rückkehr noch nicht angebrochen ist.
Hatte das andere Schlafzimmer eine angenehme Atmosphäre ausgestrahlt, die jeden Gast in seinem Bett willkommen heißen sollte, war dieses Schlafzimmer ein verdrehtes Spiegelbild davon.
Wo das erste Zimmer durch die Satin - Bettwäsche einen modernen Eindruck erweckte, sorgt die mit kleinen Blümchen verzierte Baumwollbettwäsche für ein Gefühl des Vergangenen.
Wo das Bild der Berghütte mit den schneebedeckten Bergen Ruhe und Frieden verbreitete, wartete hier eine schweres, dunkles Holzkreuz auf die müden Besucher.
Die kleine Kommode im ersten Schlafzimmer findet hier ihren Gegenüber in einem großen Kleiderschrank aus dunklem Holz, in Kombination mit einer ebenso wuchtigen und dunklen Kommode. Das dunkle Holz findet sich ebenfalls am Bett, welches zwar ähnlich aufgebaut ist wie das erste, jedoch nicht aus dem selben hellen Holz hergestellt wurde. Dunkel ist der Eindruck, dunkel ist die Atmosphäre, die das Schlafzimmer verbreitet.
Was dieses Schlafzimmer jedoch in Wirklichkeit von dem ersten unterscheidet, sind die Bewohner.
Es ist der Unterschied zwischen einem Gästezimmer, dass jeden Besucher freundlich empfangen soll, und einem Elternschlafzimmer, aus einer alten Zeit, mit anderen Idealen.
Das eine flüchtig und anonym, das andere privat und persönlicher.
Was die Möbel an düsterer Atmosphäre verbreiten, wird erhellt durch die fröhlichen Familienbilder auf und über der Kommode.
In einigen Jahrzehnten werden unsere Kinder und Kindeskinder den Einrichtungsstil der heutigen Zeit vermutlich genauso hässlich und unverständlich finden, wie wir heute den, der Generationen vor uns.
Das sanfte Band, das Familien zusammenhält, wir aber auch dann noch genauso aussehen wie heute. Gewoben aus den schönen Erinnerungen an gemeinsame Momente wird es auf vielfältige Weise Gestalt annehmen.
Wie zum Beispiel in der Sammlung an Moment des Familienlebens in diesem Schlafzimmer.
Ich kenne die Bewohner nicht und doch weiß ich, dass es eine vom Glauben, vom Vertrauen in den jeweils anderen und von Liebe geprägte Ehe war.
Wo in dem ersten Schlafzimmer die Schatten von Betrug und Verrat in einer Ehe sich über die freundliche und friedliche Atmosphäre des Schlafzimmers gelegt haben, haben in diesem Schlafzimmer schon vor Jahren, die Strahlen der Liebe und Zweisamkeit die Dunkelheit des Zimmer vertrieben.
Licht und Schatten.
Liebe und Hass.
Vertrauen und Verrat.
Es heißt Gegensätze ziehen sich an. Nun denn, dann soll es so sein.
Das Licht, die Liebe und das Vertrauen, dass die Bewohner in diesem Schlafzimmer zurückgelassen haben, werden den Schatten, dem Hass und dem Verrat den ich erlebt habe eine Bühne geben.

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