Tot.
Drei Buchstaben, ein Wort, hart und endgültig.
Er liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett, der Kopf hängt leicht über den Rand, die Kehle zerfetzt, der rechte Arm bis auf den Knochen zerschnitten.
Blut sickert durch die Bettdecke, durch die Matratze und lässt das dunkle Blau schwarz erscheinen. Wo der Stoff es nicht schnell genug aufnehmen kann, sucht es sich einen anderen Weg, läuft an der Seite des Bettes hinunter und vereinigt sich mit dem Blut der Frau.
Sieht man den Unterschied?
Sieht man wo sein Blut beginnt und Ihres endet? Wo es sich vereint?
Ich nehme mir den Augenblick, um darüber nachzudenken, wie gleich und doch wie unterschiedliche wir auf dieser Eben sind, auf der Ebene des Blutes.
Hier auf dem Boden sieht man keinen Unterschied.
Die gleiche Farbe, die gleiche Konsistenz.
Und doch ist er da.
Nachweisbar.
Unterscheidbar.
Sollten sie je diesen Ort finden, würden sie wissen, dass das Blut von mehr als einer Person stammt, dass es ein Mann und eine Frau waren, dass er auf dem Bett und sie auf dem Boden lag. Sie würden die DNA untersuchen, sie würden herausfinden wer hier gestorben ist.
Aber das liegt in der Zukunft und ist jetzt nicht weiter wichtig.
Wichtiger ist, was sie nicht wissen werden.
Sie werden nicht wissen, dass nicht viel gefehlt hatte, dass meine Geschichte fast vollkommen anders verlaufen wäre, dass sie an dieser Stelle beinahe zu Ende gewesen wäre.
Sie werden nicht wissen, dass nicht viel gefehlt hatte und ich würde mit dem Gesicht nach unten in meinem Blut liegen.
Doch es kam anders.
Glück.
Oder Pech.
Zwei von Grund auf verschiedene Perspektiven einer Geschichte.
Seine und meine.
In einer gerechten Welt würde er noch leben.
Gerecht.
Glücklicherweise ist die Welt selten gerecht. Dieses eine Mal muss ich mir eingestehen, ist mir die ungerechte Seite der Welt auch eindeutig lieber.
Fehler.
Mein Fehler.
Ich hatte ihn unterschätzt.
Ich ging davon aus, dass auch er eine Maske trägt, dass sein gestählter Körper eine Fassade ist, dass er beim Anblick der sterbenden und schreienden Frau um Gnade flehen oder sich ergeben würde, dass es einfach sein würde, mich seiner zu entledigen.
Ein Irrtum.
Er hatte geschlafen, als ich das Zimmer betrat.
Dabei hatte er sich in die dicke, jetzt von seinem Blut getränkte, Bettdecke gewickelt, um sich so vor den arktischen Temperatur der winterlichen Bergwelt zu schützen. Er muss tief geschlafen haben, den er merkte nicht wie die Frau aufstand, um herauszufinden, was für ein Geräusch sie aus den Tiefen ihres Traumes gerissen hatte.
Ich hatte das Geräusch verursacht, als ich über die alte Holztreppe ins erste Stockwerk schlich.
Ein Knarren, fast zu erwarten bei einer Treppe wie dieser, leise zwar aber trotzdem zu laut.
Zu laut, als dass sie es nicht gehört hatte.
Zu laut, als dass sie nicht neugierig geworden wäre, was oder wer es verursacht hatte.
Aber ich war schneller als sie, erreichte das Schlafzimmer als sie gerade das Bett verlassen hatte.
Dort stellte ich sie zur Rede und sie starb.
Unsere Stimmen störten seinen Schlaf und er bewegte sich im Traum unruhiger.
Ihre Schreie weckten ihn und er überraschte mich.
Er wachte auf, als mein Messer ihren Körper zerschnitt, aber anstatt geschockt zurückzuweichen, griff er an.
Die dicke Bettdecke mit der blauen Satin - Bettwäsche rettete mir womöglich das Leben.
Ich hatte ihm und dem Bett meine linke Seite zugewandt, als er versuchte an mich heranzukommen.
Doch die Decke behinderte ihn.
Verlangsamte ihn.
Sorgte dafür, dass er nur meinen linken Arm zu fassen bekam. Ich konzentriere mich auf die Stelle an meinem Bauch, an der er mich mit seiner Faust traf. Ich spüre sie noch immer. Ein Schlag, der mir den Atmen aus der Lunge trieb und der mich für einen kurzen Moment lähmte.
Doch er konnte diese Sekunden der Schwäche nicht nutzen.
Konnte der Decke nicht entkommen, war gefangen.
Gefangen vor den der Bettdecke die ihn noch vor wenigen Minuten vor der Kälte schützte.
Ich erholte mich, während er noch meinen linken Arm umklammert hielt und seine Füße zu befreien versuchte. Auch hier spüre ich noch die Stelle, an der seine Finger zugriffen und mich an ihn banden.
Sein Griff war so fest, dass für mich keine Aussicht bestand aus ihm zu entkommen.
Doch ich musste nicht entkommen. Ich hatte einen Vorteil.
Eine Waffe, ein Messer.
Und er hatte die falsche Hand. Die Linke, die unbewaffnete, die ungefährliche.
Ich sah das Begreifen in seinen Augen, als ich mein Messer an seinem Arm ansetzten, an seinem Knochen entlang führte, seine Muskeln und Sehnen zerschnitt.
Noch während ich die Bewegung ausführte, fand ein Teil meines Bewusstseins Zeit, die Schärfe des Messers zu bewundern. Mir zu meiner ausgezeichneten Arbeit zu gratulieren.
Perfekt.
Tötlich.
Seine Haltung auf dem Bett und der Griff an meinen Arm sorgten dafür, dass sich seine Hand um einiges über seiner Schulter befand. Ich brauchte also nichts weiter zu tun, als seiner Führung zu folgen, um an seinem Hals zu landen. Geleitet von seinem eigenen Arm schnitt meine Klinge durch seine Kehle. Auch wenn diese Verletzung ihn schlussendlich töten würden, dauert es eine Weile, bis ein Mensch genug Blut verloren hat, um das Bewusstsein zu verlieren. Bis er genug Blut verloren hat, um zu sterben.
Angetrieben von der Wut, dem Entsetzten und dem seinen Kreislauf überschwemmenden Adrenalin versuchte er sich wieder aufzurichten, weiter zu kämpfen und mir seine Faust erneut in den Magen zu rammen.
Doch seine linke Hand hatte mit dem zerfetzen Muskeln nicht mehr die Kraft mich zu halten, und ich konnte seinem Schlag problemlos ausweichen.
Ich griff in seine dunkelblonden Haare und riss seinen Kopf nach oben. Seine Augen starrten mich an.
Anklagen. Wissend. Trotzig.
Meine Hand führte das Messer erneut über seine Kehle. Von rechts nach links. Zerschnitt Haut, Muskeln und die Kehle. Der Knochen stoppte es, leitete es nach vorne ab. Aus zwei Schnitten wurde ein einer, der den Hals in eine einzige große Wunde verwandelte.
Seine Augen wurden trüb. Er starb und ich ließ seinen Kopf los.
Er landete auf dem Bett. Tot.
Jetzt stehe ich vor ihm und kann nicht umhin, ihn für seinen Mut und seinen Kampfgeist zu bewundern. Er hat nicht aufgegeben, selbst als sein Tod sicher war.
Eine Verschwendung.
Notwendig und unvermeidbar, aber trotzallem eine Verschwendung.
Langsam sucht sich das erste Tageslicht seinen Weg durch die Fensterläden und mir wird klar, dass es an der Zeit ist fortzufahren, dass ich es mir nicht leisten kann, weiter zu verweilen und in Erinnerungen zu schwelgen.
Ein neuer Tag bricht an und es ist noch viel zu tun, bevor ich diese Hütte und seine Bewohner hinter mir lassen kann.
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