Montag, 15. Dezember 2014

Masken Kapitel 2 / Teil 5



Ich nehme eine tiefen Atemzug, genieße den Augenblick, versuche ihn bis ins letzte Detail in meinem Gedächtnis auszunehmen. Ich spüre wie mein Atmen langsam und kontrolliert meine Lungen füllt, dort einen Moment verharrt, bevor er meinen Körper wieder verlässt. Ich konzentriere mich so stark, dass ich das Gefühl habe, die Zeit nach meinem Willen anhalten zu können.
Nichts entgeht mir, nichts werde ich vergessen.  
Mein erstes Werk ist vollendet.  
Nein. Falsch.
Mein erstes eigenes Werk ist vollendet.

Der nette Psychologe - zumindest gibt er sich alle Mühe "nett" zu wirken - sitzt mir noch immer gegenüber, noch immer in einer scheinbar entspannten Haltung, noch immer mit diesem freundlichen Lächeln.
Doch während ich diesen ersten Teil meiner Geschichte erzählt habe, konnte ich sehen, dass meine Schilderungen nicht ohne Spuren an ihm vorbei gegangen sind.
Er wollte es nicht zeigen, aber ich habe es doch gesehen.
Erschrecken.
Angst.
Abscheu.
Gar nicht so nette Gefühlsregungen. Aber auf eine gewisse Weise sehr befriedigend für mich. Der erste Schritt auf dem Weg zu seiner Demaskierung ist getan. Noch verbirgt er seine wahren Gefühle. Noch hat er den Versuch nicht aufgegeben mich zu täuschen, sich zu täuschen, die Welt zu täuschen, darüber, wie er reagieren möchte und was er fühlt.
Ich habe Zeit. Alle Zeit der Welt, um ihm seine Maske zu nehmen. Noch ist meine Geschichte nicht zu Ende.
Seine Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.
Ein Widerspruch. Er ist ihm aufgefallen.
Sehr gut.
Er führt aus, dass ich ganz am Anfang von einem Haus erzählte, in dem eine Familie ihr Leben verlor. Sie sollten die ersten gewesen sein, denen ich die Maske nahm. Wie ist es dann möglich, dass ich meine Frau und ihre Affäre als mein erstes Werk bezeichne? Wie kann es dann sein, dass der Verrat meiner Frau mich zu dieser Gewalttat getrieben hat, wenn ich schon vorher einer ganzen Familie auf mein Gewissen lud?
Ich kann ein grinsen nur schwer unterdrücken. Hätte ich doch nicht gedacht, dass ihm diese Feinheit auffallen würde. Immerhin geht es um nur ein Wort.
Erstes.
Erstes Werk, erstes Mal die Maske genommen.
Ich widerstehe dem Drang ihm mit einem süffisanten Lächeln zu seiner Beobachtungsgabe zu beglückwünschen. Noch ist es zu früh ihm zu zeigen, wie viel Spaß mir unser Gespräch mittlerweile macht.   
Stattdessen mache ich ihn darauf aufmerksam, dass es keine Fehler meinerseits war, sondern eine Fehlinterpretation durch ihn. Eine verständliche, ja, aber trotzallem eine Fehlinterpretation.
Meine Frau und ihr Geliebter waren mein erstes eigenes Werk, weil es die ersten Menschen waren, die ich mit meinen eigenen Händen getötet habe. Die Familie war die erste, denen ich die Masken nahm. Das Töten überlies ich damals aber noch jemand anderem. Der Menschennatur, der Rachsucht, der Eifersucht, dem Hass.
Ich brauchte nur zu beobachten, was meine Worte in den Menschen auslösten.
Zu beobachten, was passiert, wenn sie plötzlich ohne Maske dastehen.
Zu lernen, wie der Mensch in seinem Innersten wirklich ist.
Ich vergrub dieses Wissen und diese Erfahrungen hinter meiner eigenen Maske. Verdrängte den Hass auf die Lügen hinter eigenen Lügen. Wuchs heran, lernte, studierte, heiratete und vergaß was mich diese Familie lehrte.
Bis zu dem Moment, als meine Lüge zerbrach, meine Maske mir genommen wurde und ich meine Bestimmung erkannte. Bis meine Frau mir alles nahm und gleichzeitig so viel gab.
Nicht nur meine Bestimmung, sondern auch den Impuls zu meinem ersten Werk.
Ich sehe ihm an, dass er mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte, dass sie ihn überrumpelt. Er möchte wissen, was damals ihn diesem Haus, in diesem Wohnzimmer, in dieser Familie passiert ist. Was ich gesagt und sie getan haben.
So sei es.

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